Lernen Kinder wirklich leichter (Sprachen) als Erwachsene?

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„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Jeder kennt dieses Sprichwort und (fast) jeder hat es auch schon einmal laut ausgesprochen – meist, wenn es darum geht, als Erwachsener noch etwas Neues zu erlernen. Egal ob Sportart, Tanzstil, Kochen oder Fremdsprache – viele Menschen sind der Meinung, dass es mit fortschreitendem Alter schwieriger wird, etwas zu erlernen. Die allgemeine Annahme: (Klein-) Kindern fällt es sehr viel leichter. Darum wird auch immer geraten, so früh wie möglich mit dem Fremdsprachenunterricht zu beginnen. Doch stimmt es wirklich? Lernen Kinder leichter Sprachen als Erwachsene? Forscher aus Israel sagen: Nein!

Interessante Studie aus Israel

Dass Kinder eine Sprache schneller und einfacher erlernen als Erwachsene, galt lange Zeit als selbstverständlich und wurde nicht hinterfragt. Bis 2010, als Forscher der Universitäten von Tel Aviv und Haifa eine bemerkenswerte Studie durchführten.

Sie konfrontierten Kinder im Alter von 8 und 12 Jahren sowie junge Erwachsene mit einer erfundenen Sprachregel. Laut dieser Regel sollten Verben, die sich auf lebende Objekte beziehen, anders ausgesprochen und geschrieben werden als im Bezug auf leblose Objekte. Überraschenderweise schnitten die Erwachsenen im Test sehr viel besser ab als die Kinder. Ein Wiederholungstest bestätigte diese Erkenntnis. Die Forscher aus Israel konnten mithilfe ihrer erfunden Sprachregel nachweisen, dass es Kindern keinesfalls „naturgegeben“ leichter fällt, eine (Fremd-)Sprache zu erlernen.

Mehr Infos zu der Studie „No childhood advantage in the acquisition of skill in using an artificial language rule“  finden Sie hier.

Kinder und Erwachsene lernen unterschiedlich

Der Mythos, Kinder lernen Sprachen schneller beziehungsweise einfacher als Erwachsene, hält sich trotz der überraschenden Forschungsergebnisse aus Israel weiter hartnäckig. Fakt ist: Kinder lernen anders als Erwachsene. Welche „Methode“ jedoch besser oder schlechter ist, kann nicht gesagt und beurteilt werden.

Kinder lernen intuitiv. Sie sind unbefangen und können sich nicht auf bisherige Erfahrungen oder einen umfangreichen Wissensschatz berufen. Das bedeutet automatisch, dass sie nicht so viel hinterfragen wie Erwachsene, sondern die Dinge einfach hinnehmen, wie sie sind. Das hat beispielsweise zur Folge, dass Kinder weniger Probleme mit der Aussprache einer Fremdsprache haben und auch Grammatikregeln häufig schneller verinnerlichen.

Jugendliche und Erwachsene hingegen lernen (Überraschung!) meist schneller als Kinder. Das liegt in erster Linie daran, dass Sie viel mehr Erfahrung mit dem Lernprozess haben und diesen bewusster wahrnehmen. Während das Erlernen einer Fremdsprache für Kinder so etwas wie ein Spiel ist, verfolgen Erwachsene meist ein konkretes Ziel und haben dadurch eine völlig andere Motivation.

Warum fällt es uns trotzdem im Alter schwerer, eine Sprache zu lernen?

Nicht nur der Mensch an sich, sondern auch sein Gehirn ist ein echtes Gewohnheitstier. Im Laufe unseres Lebens entwickelt der Denkapparat verschiedene Strukturen und Verknüpfungen, die ihm die Arbeit erleichtern. Indem wir beginnen, etwas Neues zu erlernen, zwingen wir unser Gehirn dazu, die ausgetrampelten Pfade zu verlassen und sich in undurchdringliches Dickicht zu bewegen. Es ist nun gezwungen, neue kognitive Strukturen zu bilden – und findet das natürlich (salopp formuliert) ziemlich doof.

Das Gehirn eines Kindes hingegen ist weitaus weniger festgefahren, dafür umso flexibler. Die kindliche Phantasie ist der wohl beste Beweis hierfür. Die weniger stark geprägten Denkmuster sorgen dafür, dass es Kindern ganz allgemein leichter fällt, etwas (spielerisch) zu erlernen. Wichtig ist, dass man ihnen eine Sprache auf kreative Weise beibringt. Wer Kinder zum sturen Vokabeln pauken verdonnert, darf sich hinterher nicht wundern, wenn die gewünschten Lernerfolge auf sich warten lassen.

Gibt es wirklich Sprachtalente?

Es scheint wie verhext. Während manche Menschen keinerlei Probleme damit haben, mehrere Fremdsprachen zu erlernen, tun sich andere extrem schwer damit und scheitern manchmal schon an den Basics. Es scheint fast so, als hätten die einen mehr Talent als die anderen. Doch ist das wirklich so? Gibt es tatsächlich Sprachtalente?

Ja, die gibt es. Wie weiter oben beschrieben, liebt unser Gehirn feste Denkmuster, an denen es sich „entlanghangeln“ kann. Indem wir es jedoch so trainieren, dass es immer wieder Neues erlernt, kommt es gar nicht erst in die Versuchung, die bequemen Wege zu nutzen. Mit anderen Worten: Wer einmal damit anfängt, eine Fremdsprache zu erlernen, sollte im besten Fall gleich mit der nächsten weiter machen, weil das Gehirn sowieso einmal „in Form“ ist.

Hinzu kommt außerdem auch, dass beispielsweise Forscher der McGill University in Montreal herausfanden, dass die Verbindungen zwischen speziellen Hirnarealen, die für das Erlernen einer Fremdsprache wichtig sind, bei manchen Menschen stärker und bei anderen schwächer ausgeprägt sind. Es ist also durchaus möglich, dass manche von uns bessere kognitive Voraussetzungen haben als andere und darum auch als Sprachtalent betitelt werden.

Übrigens: Zwei der bekanntesten Sprachtalente sind die Zwillingsbrüder Michael und Matthew Youlden (die „Super Polyglot Bros“). Sie lernen seit ihrem achten Lebensjahr gemeinsam Sprachen und beherrschen inzwischen mehr als 15 – darunter auch Exoten wie Ungarisch, Hebräisch und Bengalisch.

 

Fazit

Wer als Hänschen versäumt hat, eine Fremdsprache zu erlernen, kann das durchaus als Hans nachholen. Es ist keinesfalls unmöglich, seine sprachlichen Fähigkeiten auch als Erwachsener stetig auszubauen. Ab einem gewissen Alter lernen wir einfach anders als Kinder – nämlich nicht mehr spielerisch und intuitiv, sondern basierend auf Erfahrungen und Wissen. Wichtig ist, das Gehirn stetig „aus der Reserve zu locken“. Denn nur wenn es immer wieder neue kognitive Strukturen bildet und die festen Denkmuster durchbricht, ist es in der Lage, eine komplexe Fremdsprache zu erlernen.

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